In der nachfolgenden Analyse der Musik der
einzelnen Bilder werden jeweils nach dem Titel die kurzen, von W. Stassow
stammenden Erläuterungen wiedergegeben, die Bildbezeichnungen beziehen sich
auf die Urtextausgabe von Alfred Kreutz.
Für Informationen zu den Bildern der Ausstellung siehe Entstehungsgeschichte
p 13.
1. Gnomus
Promenade
I, Gnomus (1:20) (Mididatei)
Sempre vivo, es-Moll, 3/4, :
Die Zeichnung stellt ein Zwerglein dar,
welches auf seinen krummen Beinchen sich tappig fortbewegt.
Aus dem hier von Stassow beschriebenen Zwerglein wird spätestens in Ravels
Orchesterversion ein linkischer, böse ins Angesicht des Betrachters
blickender Zwerg, der umherhinkt und zum Teil fast umfällt.
Diesem umherhinkenden Zwerg liegt wie den meisten Bildern der Suite ein a b a
Schema zugrunde. Teil a beinhaltet zwei Motive, ein schnelles Achtelmotiv
(Notenbeispiel 3) und ein Synkopenmotiv (Notenbeispiel 4). Begonnen wird
zunächst mit dem Achtelmotiv in den Takten 1 - 10. In den folgenden Takten (T
11 - 18) folgt ei-ne Wiederholung, worauf das erste Motiv vom Synkopenmotiv
abgelöst wird. Jenes erstreckt sich über 10 Takte (T 19 - 28) und wird
seinerseits wiederholt. Es folgt eine Verschmelzung der beiden Motive, welche
die nächsten neun Takte einnimmt (T 29 - 37), worauf schliesslich in Takt 38
Teil b folgt.
Teil b ist Poco meno mosso, pesante markiert und erinnert an eine abstrakte
Version der Promenade. Diese wird zuerst wiederholt und jeweils am Ende (T 45
- 46 und T 58 - 59) vom schnellen Achtelmotiv des ersten Teils unterbrochen.
Darauf folgt in den Takten 60 - 65 die Fortsetzung dieser abstrakten
Promenade mit absteigenden halben Noten in der Begleitung, diesmal aber ohne
vom dazwischenfunkenden, schnellen Achtelmotiv gestört zu werden. Diese
Fortsetzung wird ihrerseits in den nächsten 6 Takten wiederholt, wobei die
Stimmen beim zweiten Mal vertauscht wer-den.
Sodann folgt zum zweiten Mal Teil a, diesmal mit einer Variation des
Synkopenmotivs in den Takten 72 - 93. Der Satz endet mit einem grotesken
Achtellauf für den die Angaben velocissimo und con tutta forza vorgegeben
sind.
2. Il vecchio castello
Promenade
II, Il vecchio castello (0:48) (Mididatei)
Andantino molto cantabile e con dolore, gis-Moll, 6/8
Mittelalterliches Schloss, vor dem ein Troubadour sein Lied singt.
Der Satz stellt das Lied dar, welches der
Troubadour singt, während er es mit seinem Instrument begleitet. Beim
Begleitinstrument handelt es sich wohl um ein plagales Instrument mit
Bordunsaite, bei welchem wie zum Beispiel beim Dudelsack oder bei der
Drehleier ständig der Grundton mitschwingt. In diesem Fall handelt es sich
beim Grundton um ein Gis, welches den ganzen Satz durch erklingt.
Die einzelnen Strophen des Sängers und des Begleitinstruments enden immer mit
derselben Wendung (Notenbeispiel 5). Nach den zwei ersten Strophen, die eine
Art Exposition darstellen, folgen fünf weitere, die sich zuerst immer
intensivieren, um sich dann allmählich, nach plötzlichem Stocken in den
Takten 86 - 95, wieder im Nichts zu verlieren.
Obwohl das Stück durchgehend pp markiert ist, erfahren die mittleren Strophen
natürlich auch einen Höhepunkt der Lautstärke, welcher auf die Verdichtung
der entsprechenden Stellen zurückzuführen ist. Ravel schreibt in seiner
Orchesterversion im Mittelteil f, um dann gegen Ende wieder ins pp
zurückzugehen.
Die Melodieführung ist laut Hübsch typisch für die russische Volksmusik.
Sowohl der Terzfall am Ende als auch der synkopische Quintschritt und die
zahlreichen Quartschritte (zum Beispiel immer am Anfang der Strophe), sind
Elemente, die in der russischen Volksmusik überall anzutreffen sind. Auch das
in den Strophen verwendete Improvisationsprinzip mit ständig gleicher
Schlussphrase nach einer Improvisation der Melodie ist in ganz Russland
anzutreffen. Auf das leise Verklingen dieses Satzes folgt Promenade III,
welche in den 3. Satz Die Tuilerien überleitet.
3. Die Tuilerien
Promenade
III, Die Tuilerien (0:27) (Mididatei)
Allegretto non troppo, capriccioso, H-Dur, :
Eine Allee des Tuilerien - Gartens mit einer Menge von Kindern und
Kinderwärterinnen
Auch diesem Satz liegt wieder eine a b a Kreisform zugrunde. Die leichten
Sechzehntelbewegungen und das Akkordmotiv H-Dur-gis-Moll am Anfang stellen
wohl die von Stassow angegebenen spielenden Kinder dar, die im Garten der
Tuilerien umherhüpfen und herumtollen. Das Motiv intensiviert sich ab Takt 7
(vor allem an den härter werdenden Harmonien gut zu hören), um dann im Takt
14 vom ruhigeren b - Teil abgelöst zu werden. Ab Takt 22 kommt das
Anfangsthema wieder verstärkt zurück ins Spiel und ist in Takt 25 wieder
vollständig mit von der Partie. Am Ende führt ein Sechzehntellauf in
harmonisch dis-Moll, den man heutzutage wohl am ehesten mit dem schnellen
Wegzoomen einer Kamera umschreiben würde, hinüber zum nächsten Bild.
4. Bydlo
Bydlo
(Mididatei)
Sempre moderato, pesante, gis-Moll, 2/4
Ein polnischer Wagen auf gewaltigen (rumpelnden) Rädern, mit Ochsen bespannt.
Während der monotonen gis-Moll-H-Dur Bassbegleitung entwickelt sich die
Melodie in der Oberstimme. Wie bei Il vecchio castello handelt es sich um
eine Art Lied mit drei variierenden Strophen, das sich in der zweiten Strophe
intensiviert, um sich dann am Ende in der dritten Strophe wieder in der
Unendlichkeit des Ausstellungssaales zu verlieren. Konkret heisst das, dass das
Lied zuerst einstimmig ff (!) beginnt (Ravel beginnt mit pp), sich in der
Mitte bis zur Vierstimmigkeit entwickelt und dann am Ende im einstimmigen pp
verklingt.
Jede Strophe besteht aus zwei Teilen, die beide zwar gleich beginnen, sich
dann aber verschieden fortsetzen. Von der Melodieführung her praktisch
identisch sind die erste und die dritte Strophe in den Takten 2 - 20,
respektive 39 - 57. Die mittlere Strophe wird von einer Variation des Themas
gebildet.
Wie im 2. Bild fallen auch hier unzählige Merkmale der russischen Volksmusik
auf. Es sind dies vor allem die häufigen Quart- und Quintschritte, die
Ostinatofigur im Bass und die aufsteigende Quinte, die wieder zum Anfangs der
Melodie zurückführt.
In einem Brief an Stassow schreibt Mussorgsky übrigens zum Titel:
"Nr. 4: ganz einfach "Sandomirzsko Bydlo"; das ist natürlich
nicht drübergeschrieben und bleibt unter uns)."
Blieb es nicht, und so wissen heute auch wir, dass der auf diesem
verschollenen Bild vorgestellte polnische Ochsenwagen aus Sandomierz stammt,
aus der Stadt also, in der Hartmann eine grosse Zeit seines Lebens verbracht
hatte und aus der auch die beiden Juden des sechsten Bildes stammen. Die nun
folgende Promenade IV übernimmt den etwas traurigen monotonen Charakter des
Bildes, um dann mit dem plötzlich leichten Schluss ins nächste Bild des
Balletts der noch nicht ausgeschlüpften Küchlein überzuführen
5. Ballett der noch nicht ausgeschlüpften Küchlein
Promenade
IV, Ballett der noch nicht ausgeschlüpften Küchlein (0:38) (Mididatei)
Scherzino, Vivo, leggiero, F-Dur, 2/4
Ein Bild Hartmanns zur Aufführung einer malerischen Szene im Ballett Trilby
Wie am Anfang erwähnt haben die ungeraden Bilder einen scherzohaften
Charakter. Das Ballett der noch nicht ausgeschlüpften Küchlein ist indes das
einzige, bei welchem es sich um ein richtiges Scherzino mit Triomittelteil
handelt.
Im ersten wiederholten Teil des Stückes hört man die hüpfenden und
zwitschernden Kücken des Balletts. Auffallend ist bei diesem Thema, dass es
sich bei den Vorschlägen der Oberstimme meistens um parallele Quinten zum
Bass handelt. Auf vier Takte "zwitschern" folgen jeweils vier Takte
"hüpfen". Nach weiteren sechs Takten wird dieser erste Teil
wiederholt, worauf das Trio folgt.
Das Trio besteht aus zwei achttaktigen Teilen, die ihrerseits wieder
wiederholt werden, und ist ppp markiert. Der erste Teil besteht aus einem
Ostinatoton im Bass und sich darüber bewegenden Trillern, welche eine
zirpende Melodie bilden. Der zweite Teil des Trios führt mit seinen Achtel
und den Vorschlägen wieder zurück zum Anfangsmotiv, das darauf in der Coda
mündet.
6. Samuel Goldenberg und Schmuyle
Samuel
Goldenberg und Schmuyle (Mididatei)
Andante. Grave - energico, b-Moll, :
Zwei polnische Juden, der eine reich, der andere arm
Die beiden in diesem Satz verwendeten
Themen stellen die beiden Juden dar. Der erste tritt kräftig und entschieden
auf, der zweite leise, nervös und fast ein bisschen eklig. Beim ersteren
handelt es sich wohl um den reichen, der selbstsicher und bestimmt in den
Takten 1 - 8 auftritt. In den nächsten 8 Takten folgt der zweite, der arme,
der nervös herumzwirbelt, um sich zu beklagen, oder um den Passanten
irgendwelches Geld abzuknöpfen, wer weiss. (Notenbeispiel 8)
In Takt 17 und 18 treffen die beiden aufeinander, worauf in den Takten 19 -
25 eine Art Disput folgt, in dem der arme Jude in der rechten und der reiche
in der linken Hand gleichzeitig aufeinander einreden. Darauf spricht nur noch
der reiche Jude, und in den letzten beiden Takten nimmt das Ganze sogar den
Anschein, dass der reiche Jude den armen Teufel mit heftigen Worten (ff) zu
demselben jagt.
In einem Brief an seine langjährige Bekannte Ludmilla Schestakowa, der
Schwester Glinkas, schreibt Mussorgsky schon 1868, dass er anstrebe, in
seiner Musik künstlerisch die menschliche Stimme wiederzugeben. Genau das tut
Mussorgsky in diesem Satz. Auf die ersten Takte, in denen der reiche Jude
langsam und wohlüberlegt spricht, folgen die acht Takte des armen Juden.
Dieser spricht schnell und mit ständigen Wiederholungen in einem näselnden
Ton. Danach sprechen beide miteinander, der reiche Jude im Bass und der arme
etwas lauter (parallele Oktaven) in der rechten Hand. Der reiche hat aber das
letzte Wort und bringt den armen zum Schweigen.
Die Tonart, die mit dem oft aufgelösten e und a eine Art von Zigeunermoll
bildet, deutet wohl auf den jüdischen Ursprung der beiden Personen hin.
Auf Samuel Goldenberg und Schmuyle folgt in der Originalfassung eine etwas
aufgemotzte Wiederholung der Anfangspromenade, die das Werk in zwei Teile
teilt. In der Orchesterfassung von Ravel sowie in vielen andern Versionen
wird darauf verzichtet und es folgt direkt die Szene auf dem Marktplatz von
Limoges.
7. Der Marktplatz von Limoges
Promenade
V, Der Marktplatz von Limoges (1:21), Catacombae (2:49), Con mortuis...(4:17)
(Mididatei)
Allegretto vivo, sempre scherzando, Es-Dur, :
Französische Weiber in heftigem Streit auf dem Markt.
Mussorgsky beabsichtigte zuerst, in dieses Bild ein reales Streitgespräch
zwischen den Frauen einzufügen, er liess es dann aber beim musikalischen
Streit bleiben. Wie im vorhergehenden Bild wird die Sprache der Menschen
dargestellt.
Im Gegensatz zum vorherigen Zigeunermoll steht nun gängiges Es-Dur, bei den
Streitenden handelt es sich schliesslich nicht mehr um Juden orientalischen
Ursprungs, sondern um französische Frauen.
Die ständig vorhandenen Sechzehntel vertreten das grosse Stimmengewirr und
das emsige Treiben auf dem Markt. In dieses Stimmengewirr mischen sich
Schimpftiraden und zum Teil wohl auch Handgreiflichkeiten wie zum Beispiel in
den Takten 4 bis 8, vor allem aber im Takt 8, wo sehr schnell zwischen Höhen
und Tiefen hin und her gewechselt wird. Das Streiten wird immer heftiger
(erkennbar an der Dynamik, den Dissonanzen und den grossen Tonsprüngen) und
führt danach im Takt 25 wieder zum Anfangsmotiv zurück, welches nun um eine
grosse Terz höher erklingt. Nochmals verstärkt sich der Streit, um dann
schliesslich in den letzten vier Takten in Zweiunddreissigstel attaca in die
Katakomben zu führen.
8. Catacombae Sepulcrum romanum
Largo, h-Moll, 3/4
Auf diesem Bild hat Hartmann sich selbst dargestellt, wie er die Katakomben
von Paris beim Schein einer Laterne besieht.
Der Satz Sepulcrum romanum wird geprägt von unheimlichen Klängen, die einem
zum Teil beinahe das Blut in den Adern gefrieren lassen. Das Bild zeigt laut
Stassow Hartmann selbst, wie er sich mit dem Architekten Kennel und einem
Wächter, der die Lampe hält, die Katakomben von Paris anschaut.
Zur Rechten stapelt sich Schädel auf Schädel - der Tod ist allgegenwärtig.
Was wäre für die Bilder einer Ausstellung, dieses "Requiem" zu
Ehren Hartmanns, besser geeignet gewesen, als ein Bild, welches Hartmann in
der Konfrontation mit dem Tod zeigt?
Der Satz besteht aus einer fast melodielosen Aneinanderreihung von Akkorden.
Immer wieder flackern aus dem Dunkeln des p im Schein der Laterne neue
unheim-liche Bilder im ff auf. Von Takt 3 bis Takt 11 ruhen die Akkorde auf einer
fast chromatischen Basslinie d, cis, c, h, b, a, g, fis.
9. Die Hütte auf Hühnerfüssen
Die
Hütte auf Hühnerfüssen, Das Bohatyr-Tor von Kiew (2:56) (Mididatei)
Allegro con brio, feroce, 2/4, C-Dur
Die Zeichnung Hartmanns zeigt eine Uhr in Form der Hütte der Baba Yaga auf
Hühnerfüssen. Mussorgsky fügte noch den Ritt der Baba Yaga auf dem Mörser
hinzu.
Die Hexe Baba Yaga reitet, wie für die russischen Vertreter dieser Spezies
üblich, nicht mit einem Besen, sondern mit einem Mörser durch die kalten
russischen Nächte. Ihre Hütte steht auf Hühnerfüssen, und zwar aus dem
einfachen Grund, dass sie sich so allfälligen Opfern immer zuwenden kann und
ihnen so die Eingangstüre ins sichere Verderben stets anbieten kann. Die Hexe
hat nämlich die Menschen zum Fressen gern, und besonders gern frisst sie
deren Knochen. Wie sich diese Hütte dann mit einem unheilverkündenden Sprung
(grosse Septime abwärts) dem Zuhörer zuwendet, kann man schon in den ersten
Akkorden hören.
Auch diesem Bild liegt grob gesehen wieder eine a b a Struktur zugrunde.
Einem ersten Teil (Allegro con brio, feroce), folgt ein etwas langsamerer
Mittelteil, der Andante mosso angeschrieben ist. Nach der Reprise des ersten
Motivs, dieses Mal Allegro molto, folgen rasante Sechzehntel, die nach einem
anfänglichen Absteigen wieder aufsteigend attacca ins nächste Bild
überleiten.
Das erste Motiv scheint irgendwie ständig um den Ton G zu kreisen
(Notenbeispiel 9). Ein schnelles, chromatisch aufsteigendes Achtelmotiv, das
ebenfalls auf dem Ton G beginnt, bildet in den Takten 17 - 32 in acht
Durchgängen eine Überleitung. Die letzten vier Male wird ihm in der rechten
Hand ein Motiv mit Sekundvorschlägen beigefügt. Darauf folgt ein etwas
heroisch klingender Teil. Ist dies Baba Yaga, die stolz auf ihrem Mörser
herumreitet? Je länger je mehr mischen sich diesem heroischen Ritt schnelle
Achtelbewegungen und aggressive Dissonanzen hinzu. Im Takt 57 übernehmen die
Achtel definitiv das Ruder und ab 67 kommt neben ihnen noch eine bedrohliche,
chromatisch absteigende Basslinie ins Spiel, was schliesslich in einen
schnellen Sechzehntellauf mündet. Nach dessen Verlangsamung in Viertel, Halbe
und schliesslich Vierteln über zwei Takte auf dem gleichen Ton (wieder ein
G), folgt der Teil b.
Teil b ist geprägt von durchgehenden Sextolenbewegungen, welche gegen Ende
von nicht enden wollenden Temoli abgelöst werden. Im Bass werden diese
Bewegungen von einer Variation des Anfangsmotivs begleitet.
Die darauf in Takt 123 folgende Reprise des ersten Teils wurde im
Wesentlichen nur etwas verkürzt. Einzig dem Sechzehntellauf, der wieder im
Takt 187 einsetzt, wurde mehr Platz eingeräumt. Anstatt sich am Ende zu
verlangsamen, steigt er nach seinem absoluten Tiefpunkt wieder auf und führt
uns zum nie gebauten Stadttor von Kiew.
10.Das Bohatyr-Tor von Kiew
Allegro alla breve. Maestoso. Con grandezza, Es-Dur, ;
Die Zeichnung Hartmanns ist ein architektonischer Entwurf zu einem Stadttor
in Kiew im massiven altrussischen Stil, mit einer Kuppel in Form eines
slawischen Helmes.
Das Bohatyr-Tor von Kiew ist ein Plan für ein Stadttor Kiews, das an ein
missglücktes Attentat auf den Zaren Alexander II. erinnern sollte. Das Tor
sollte ursprünglich einen grossen Glockenturm und sogar eine Kirche
beinhalten.
In Mussorgskys Bilder einer Ausstellung bildet es das bombastische Finale der
Suite. Der Satz besteht grob gesehen aus drei verschiedenen Bausteinen, einer
Variation des Promenadenthemas, einem Choral und dem Glockengeläute des im
Tor integrierten Glockenturmes.
Über die ersten acht Takte wird die majestätische Promenadenvariation
vorgestellt. Darauf wird sie in den folgenden 13 Takten wiederholt und
weitergeführt, worauf wiederum eine Wiederholung in Originalform folgt, jetzt
allerdings lauter und zusätzlich noch mit dem Orgelpunkt Es untermalt.
Dieser erste Anflug von Gigantismus wird in Takt 30 jäh von einem aus der
Kirche des Tores heraus erklingenden Choral in phrygisch As im p
unterbrochen, der zudem noch senza espressione markiert ist. Laut Stassow
liegt diesem Choral der Choral Elicy vo Christa krestistesja aus der
russischen Liturgie zugrunde, was auf Deutsch heisst: "Wieviel euer auf
Christum getauft sind, die haben Christum angezogen". (Notenbeispiel 12)
Dieser Choral wird im Takt 47 wieder vom ersten Thema, dem Hauptthema,
abgelöst, das nun aber von ab- und aufsteigenden Es-Dur Achtelskalen
begleitet wird. Diese Achtelbewegungen befinden sich zuerst in der rechten
Hand und wechseln nach einem Stimmentausch im Takt 55 in die linke, wo sie
darauf verbleiben.
Abermals folgt der Choral, diesmal um eine Quinte nach oben transponiert, im
Takt 64. Diesmal erklingt er aber, zumindest in Mussorgskys
Originalversion(!), in voller Stärke im ff. Nach einem diminuendo ab Takt 76,
erklingt von Takt 81 an das Glockengeläute des Glockenturms. Langsam beginnt
es zu läuten, zuerst die grossen, schweren Glocken, deren Schwingungen einen
ganzen Takt benötigen. Die etwas kleineren Glocken, die in Takt 85 einsetzen,
bringen es auf drei Schläge pro Takt, die noch kleineren Glocken werden
darauf vermischt mit den früheren in Achteln geschrieben.
Ab Takt 97 mischt sich dem Glockengeläute versteckt auch noch die
Originalfassung des Promenadenthemas bei (Notenbeispiel 13). Nach acht Takten
kommt es zu einer Überleitung, die in einem Es-Dur Sechzehntellauf gipfelt,
der die Klaviertastatur in ihrer vollen Länge beansprucht.
Hinter den folgenden Triolenbewegungen (Takt 114) verbirgt sich wieder das
Promenadenthema, was nach einer Übergangsphase zwischen den Takten 140 und
161 ein letztes Mal zum Hauptthema des Satzes und dem fulminanten Schluss des
Werkes führt.
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